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Niemand versteht mich! Was Nachfolger in Familienunternehmen verstehen müssen, um verstanden zu werden.
18.09.2024
Timo Kaapke

„Niemand versteht mich!“ So lautet eine der häufigsten Klagen von Junioren, die ins elterliche Unternehmen eingestiegen sind. Eine Mauer des Nicht-Verstehens scheint die Nachfolger zu umgeben und macht ihnen die Einarbeitung in den Unternehmerjob schwer.

Das gehört nach der Erfahrung aus meiner Arbeit im Sparringprogramm NEXT GENERATION UNTERNEHMER zu den zentralen Herausforderungen, mit denen Nachfolger mittelständischer Familienunternehmen konfrontiert sind.

Und auch bei diesem Thema kann ein Perspektivwechsel wieder Erkenntnisse bringen, die zu der überraschenden Frage führen: Wer versteht hier eigentlich wen nicht?

 

Ins gemachte Nest?

„Das war echt eine komische Stimmung!“ Michael, vor einigen Monaten ins elterliche Unternehmen eingestiegen, erzählt bei mir im Sparring von einem Familientreffen. „Um ein Haar wäre es zum Streit mit meinem Vater wegen einer Unternehmenssache gekommen, aber dann haben wir um des Familienfriedens willen das Thema gerade noch umschifft.“  

Er schaut mich ratlos an: „Meine Schwester hat das gemerkt und mich gefragt, ob ich mich nicht mal zusammenreißen könnte. So ein Riesending wäre der Einstieg ins Unternehmen nun auch wieder nicht. Eigentlich könnte ich mich doch ins gemachte Nest setzen.“ Ihm ist sein Ärger über diese Bemerkung noch anzusehen.

„Schließlich hat mich meine Mutter noch mit bekümmertem Blick gebeten, meine eigenen Wünsche etwas zurückzustellen und einen Schritt auf meinen Vater zuzugehen. Sowas belastet mich, und wenn ich dann später mit meiner Frau oder mit Freunden darüber reden will, habe ich das Gefühl, dass die mich und meine Situation auch nicht wirklich verstehen. Ist es denn wirklich so schwer, sich in meine Situation mal hineinzuversetzen?“

 

Ein Teufelskreis

Am Tag nach dem Gespräch mit Michael musste ich bei einer längeren Autofahrt bei Walk a Mile in My shoes von Elvis wieder daran denken. Einerseits, machte ich mir bewusst, ist es für den Vater, die Familie und die Freunde von Michael wahrscheinlich wirklich gar nicht so einfach, sich in Michaels Situation hineinzuversetzen. Vielleicht denken sie: Er übernimmt gerade ein gut laufendes Unternehmen, ist jetzt bald sein eigener Chef, wo ist also das Problem?

Andererseits war für mich auch klar, dass das Verhalten der anderen Michael gegenüber nur eine unbewusste Reaktion auf etwas ist, was er selbst – ebenso unbewusst – ausstrahlt: seine eigene Unklarheit über seine Erwartungen beim Einstieg ins Unternehmen.

Am unmittelbarsten, dachte ich, spürt das natürlich sein Vater. Er bringt seinem Sohn durchaus Vertrauen entgegen, aber wirklich viel von seinem Unternehmerjob abgeben mag er noch nicht – was dazu führt, dass die Themen zwischen ihm und dem Junior operativ und kleinteilig geprägt sind und deswegen keine wirkliche Kommunikation auf Augenhöhe entsteht.

Das führt dazu, dass der Vater seinem Sohn das ganze Unternehmer-Ding immer weniger zutraut – der typische Teufelskreis, in denen Senioren und Junioren allzu oft geraten.

 

Du musst dich selbst verstehen

In unserem nächsten Gespräch reflektierte Michael diesen Teufelskreis und er erkannte: „Mein Vater hat, weil er nicht so richtig loslassen mag, noch gar nicht viel nachgedacht über die Frage, wie das mit der schrittweisen Übergabe von ihm zu mir laufen soll. Weder hat er explizite Erwartungen an mich, noch hat er eine Vorstellung von meinen Erwartungen.“

Michael schwieg nachdenklich. „Das“, fuhr ich fort, „ist nicht angenehm für dich, aber es ist eigentlich auch gar nicht so entscheidend. Die viel wichtigere Frage ist: Was hast du für Erwartungen? An dich, an deinen Vater, an dein Unternehmersein?“

Michael dachte einen Moment nach und meinte dann: „Na ja, irgendwie hab ich gedacht, das wird sich schon alles ergeben, wenn ich erst mal reinwachse.“ Ich antwortete nickend: „So geht es vielen Nachfolgern. Aber wenn du das Gefühl hast, dass dein Vater und auch andere dich nicht verstehen, solltest du dich zunächst verständlich machen. Und der erste Schritt dafür ist: Du musst dich selbst verstehen – deine Motive, Wünsche, Hoffnungen, Bedürfnisse, Erwartungen und Ziele.“

Foto von Timo Kaapke

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Besseres Verständnis ist eine Holschuld

Der Weg, um sich selbst in diesem Sinne besser zu verstehen, ist für Nachfolger die Selbstreflexion. Was bedeutet es für sie überhaupt, Unternehmer zu sein? Welche Antworten finden sie auf die vier Kernfragen: Was will ich? Was kann ich? Was brauche ich? Was biete ich?

Wer diese Fragen, insbesondere die letzten beiden, für sich beantwortet hat, kann dem Senior (oder der Seniorin) statt der bisher immer nur impliziten Erwartungen ein explizites Angebot machen, das für ihn oder sie verstehbar und besprechbar ist: Das brauche ich von dir, und das biete ich dir ...  

Bemerkenswert dabei ist, dass die Junioren es den Senioren dadurch erleichtern, auch für sich stärker in die Reflexion über ihre eigenen Erwartungen zu gehen. Die Junioren warten nicht länger, dass die Senioren sich äußern und in Führung gehen, sondern sie gehen selbst in die Führung.  

Das ist für sie nicht nur ein Befreiungsschlag, sondern auch Teil der neuen unternehmerischen Verantwortung: Denn für gegenseitiges besseres Verständnis von Unternehmer zu Unternehmer zu sorgen, das ist keine Bringschuld, sondern eine Holschuld.

 

From NOW to NEXT

Das, worauf es da ankommt, nennen wir im Rahmen unseres Sparringprogramms „From NOW to NEXT“. Das hat eine doppelte Bedeutung: Die eine beschreibt die Entwicklung vom NOW, dem jetzigen Zustand, aus dem Nachfolger wie Michael starten, zum NEXT GENERATION UNTERNEHMER.

Die andere Bedeutung bezieht sich auf den Übergang vom Senior aus der NOW GENERATION zum Junior aus der NEXT GENERATION. Im Sparringprogramm fokussieren wir uns auf die Junioren, die wir unterstützen wollen zur bewussten Selbstführung, zur Führung im Dialog mit den Senioren und für eine konstruktive und zukunftsfähige Unternehmensführung.

Der erste Schritt dabei führt zum NEXT ME, indem die Nachfolger ihre Beziehung zu sich selbst sowie ihre Wünsche und Bedürfnisse klären. Ganz wichtig dabei: Das bezieht sich nicht nur auf den Kontext des Unternehmens, sondern auch auf die anderen Lebenskontexte Familie, Freunde und Gesellschaft. Nur wenn die Nachfolger den Rollen-Mix klären, in dem sie sich in diesen verschiedenen Kontexten bewegen wollen, werden sie auch wirklich den Kopf frei für den Kontext Unternehmen haben.

Der zweite Schritt geht zum NEXT WE, zur verbesserten Beziehung zu den Senioren und zu allen anderen Menschen in ihren verschiedenen Lebenskontexten. Und erst, wenn die wie weiter oben beschrieben geklärt ist, können die Nachfolger den dritten Schritt tun: zum, wie wir das nennen, NEXT WOW, in dem sie wirklich um das Unternehmen sowie um Mitarbeiter und Kunden kümmern: also um die Arbeitgeber- und die Produktmarke.

 

Verständlicher werden

„Wenn ich mein Unternehmen und meine Mitarbeiter entwickeln will, muss ich mich selbst entwickeln“ – so hat das neulich eine Teilnehmerin von NEXT GENERATION UNTERNEHMER formuliert. Das ist auch der Weg, auf den sich Michael begeben hat.

Und ich ergänze: Wenn er Verständnis von seinem Vater, seiner Schwester, seiner Frau und seinen Freunden erfahren will, muss er sich selbst besser verstehen. Das Gefühl von „niemand versteht mich“ lässt sich nur so auflösen.

Wer als Nachfolger mit sich selbst und auf dieser Basis auch mit dem Senior im Reinen ist, wird für alle anderen, auch für Mitarbeiter und Kunden, viel verständlicher – und kann so das Unternehmen und die Unternehmensmarke prägen und entwickeln.

Wie ist das bei Ihnen: Haben Sie als Nachfolger Ihre Erwartungen geklärt? Mit sich selbst und mit dem Senior bzw. der Seniorin? Wie erleben sie das als Senior? Schreiben Sie mir doch mal darüber. Aber vor allem: Sprechen Sie andere Unternehmer darauf an und tauschen sich mit ihnen darüber aus!

 

Frohes schaffen
und keep on burning!

Timo Kaapke

Foto von Timo Kaapke

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